Verständlichkeitstest für Wahlprogramme: Die meisten Parteien in Baden-Württemberg fallen durch [21.03.2011]
Am unverständlichsten formuliert die FDP: Ihr Wahlprogramm in Baden-Württemberg ist etwa so leicht verdaulich wie eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit. Das Wahlprogramm der CDU für die Landtagswahl ist für den Durchschnittswähler noch am verständlichsten. Alle anderen Parteien liegen dazwischen, konfrontieren ihre Leser aber mit komplizierten Schachtelsätzen, Fachbegriffen und Fremdwörtern. Zu diesem Ergebnis kommt ein Verständlichkeitstest von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Hohenheim. Die Forscher analysierten die Wahlprogramme der Parteien zur Landtagswahl mit der speziellen Software „TextLab“.
Was bitte ist „Nachhaltigkeitsbildung“ (CDU)? Was bedeutet „Ressourcenproduktivität“ (FDP), „Konnexitätsprinzip“ (SPD), „Anteilskontingent“ (Grüne) oder „Präventionskette“ (Linke)? Auch Wortzusammensetzungen wie „Umweltinnovationslabor“ (CDU), „Weiterbildungsbeteiligungsquote“ (FDP), „Regelschullehrkräfte“ (SPD), „Differenzierungskontingente“ (Grüne) und „Landschaftspflegematerial“ (Linke) erhöhen nicht gerade die Lesbarkeit der Wahlprogramme der Parteien, die für den baden-württembergischen Landtag antreten.
Was vielen Bürgern an Politik unverständlich und intransparent vorkommt, kann Prof. Dr. Frank Brettschneider vom Lehrstuhl Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim in genauen Zahlen ausdrücken. In einem Forschungsprojekt hat er gemeinsam mit seinem Team und dem Institut H&H Communication Lab die formale Verständlichkeit der Wahlprogramme aller Parteien für die Landtagswahl in Baden-Württemberg untersucht.
Konkret fahndeten die Wissenschaftler unter anderem nach Satz-Ungetümen (Sätze ab 20 Wörtern und Schachtelsätze), Fachbegriffen und Fremdwörtern. Unter anderem anhand dieser Merkmale bildeten sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er reicht von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich).
So unverständlich wie eine Doktorarbeit
Bei den Langfassungen der Wahlprogramme schneide das Programm der CDU mit einem Indexwert 11,2 am besten ab. „Das entspricht etwa dem Schwierigkeitsgrad eines Artikels im Nachrichtenmagazin Der Spiegel“, so Prof. Dr. Brettschneider. Am unverständlichsten sei das Programm der FDP. Mit einem Wert von 4,6 liege es nur knapp über der durchschnittlichen Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten (Indexwert 4,3). „Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen“, sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider. „Ohne ein hohes Bildungsniveau oder politisches Fachwissen sind einige Inhalte der Landtagswahlprogramme für die Wählerinnen und Wähler nur schwer verständlich“.
Miese Noten für Fachchinesisch
„Bei sämtlichen Parteien finden sich Verstöße gegen grundlegende Verständlichkeitsregeln“, urteilt Prof. Dr. Brettschneider. „Der Jargon aus Fremdwörtern und Fachbegriffen macht die Wahlprogramme für viele Bürgerinnen und Bürger unverständlich“. Grund: Die Wortwahl ist meist das Ergebnis von innerparteilichen Expertenrunden.
Diese bürokratische Fachsprache verwenden die Parteien dann auch in ihren Wahlprogrammen. An den Bedürfnissen der Leserinnen und Leser, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen, schreiben sie damit vorbei. Obwohl Fremdwörter und Fachbegriffe von allen Parteien eingesetzt werden, sind im CDU-Wahlprogramm vergleichsweise wenige Fremdwörter und Fachbegriffe vorhanden, im FDP-Programm hingegen vergleichsweise viele.
Auch die Verwendung von Anglizismen erschwert das Verständnis – zumindest für einige Wählergruppen. „Repowering“ (Linke), „Time-Sharing-Modelle“ (SPD) und „Contracting-Modelle“ (CDU), sind nur zur verstehen, wenn man den Bürgern entsprechende „Coachingangebote“ (Grüne) oder gar „Weiterbildungscoaching“ (FDP) zur Verfügung stellt, so der Kommunikationsexperte augenzwinkernd.
Bandwurmsätze und Unklarheiten
„Auch zu lange Sätze erschweren das Verständnis – vor allem für Wenig-Leser“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. Dennoch fanden die Hohenheimer Forscher bei allen Parteien überlange Sätze. Mit 90 Wörtern ist die FDP Rekordhalterin der Bandwurmsätze. Im Durchschnitt besteht ein FDP-Satz aus 16,4 Wörtern. Die kürzesten Sätze liefert hingegen die CDU (im Schnitt 12,5 Wörter) – das erleichtert laut den Kommunikationsexperten die Verständlichkeit.
Kurzprogramme sind verständlicher
Allerdings: Im Gegensatz zu den regulären Wahlprogrammen sind die Kurzprogramme der Parteien zur Landtagswahl deutlich verständlicher. Besonders auffällig ist dies bei den Grünen, deren Kurzfassung mit einem Indexwert von 16,1 in etwa so verständlich ist wie ein durchschnittlicher Artikel im Politikteil der Bild-Zeitung (Indexwert 16,8). Die CDU kommt auf den zweiten Platz (Indexwert 14,8). Das formal am wenigsten verständliche Kurzprogramm stammt von der Links-Partei (Indexwert 11,7).
Hintergrund: Automatische Textanalyse
Möglich werden diese Analysen durch die von H&H Communication Lab GmbH und von der Universität Hohenheim entwickelte Verständlichkeitssoftware „TextLab“. Diese Software berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter). Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ zusammen, der die Verständlichkeit der Programme und Texte auf einer Skala von 0 (unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) abbildet.
Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten mit Reaktionen von CDU und FDP