Bundestagswahl 2021: Scholz baut seinen Vorsprung aus – wovon die SPD profitiert  [24.09.21]

Uni Hohenheim begleitet den Wahlkampf mit wissenschaftlichen Studien / Teil 5: Wie groß ist der Einfluss der Spitzenkandidierenden?

Bundestagswahl 2021: Scholz baut seinen Vorsprung aus – wovon die SPD profitiert | Bildquelle: Universität Hohenheim

 

Vom idealen Kanzler bzw. der idealen Kanzlerin haben die Menschen vor der Bundestagswahl eine klare Vorstellung – doch nach wie vor erfüllt niemand von den Kandidierenden diese Vorstellung. Vergleichsweise am besten schneidet Olaf Scholz ab. Er konnte seinen Vorsprung vor Armin Laschet und Annalena Baerbock im Vergleich zum Juli noch ausbauen. Davon profitiert inzwischen auch seine Partei. Das sind die jüngsten Ergebnisse einer forsa-Umfrage des Kommunikationswissenschaftlers Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Außerdem stellt er fest: Der Wahlausgang wird auch davon abhängen, was bei den noch Unentschiedenen am Wahltag ein größeres Gewicht haben wird: „Zweitstimme ist Kanzlerstimme“ oder „Zweitstimme ist Richtungsstimme“.

Gemeinsam mit dem renommierten Sozialforschungsinstitut forsa führt Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim eine repräsentative Panel-Befragung zur Bundestagswahl 2021 durch. Die erste Befragung fand Ende Juli/Anfang August statt, die zweite erfolgte vom 2. bis zum 10. September 2021. An ihr haben 14.999 Wahlberechtigte bundesweit teilgenommen. Die dritte Befragung folgt unmittelbar vor der Wahl.

„Damit sind wir in der Lage, Veränderungen in den Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensabsichten der Wählerinnen und Wähler auf der Individualebene zu erfassen. Denn die gleichen Menschen werden bis zur Wahl dreimal befragt. Das ist die große Stärke von Panel-Befragungen“, sagt der Kommunikationswissenschaftler.

 

Personalisierung von Wahlkämpfen hat lange Tradition

Die SPD hat ihren Wahlkampf voll und ganz auf Olaf Scholz zugeschnitten. In der Schlussphase plakatiert sie großflächig: „Kanzler für Deutschland“. „Personalisierte Wahlkämpfe hat es schon immer gegeben. Bereits vor über einem halben Jahrhundert setzten die Parteien im Wahlkampf auf ihre Frontleute. Die CDU rückte in den fünfziger Jahren Konrad Adenauer in den Mittelpunkt, die SPD in den sechziger und siebziger Jahren Willy Brandt. 1969 plakatierte die CDU ‚Auf den Kanzler kommt es an‘; es ging um Kurt Georg Kiesinger“, sagt Prof. Dr. Brettschneider.

Der Grund sei einfach: „Kandidaten verleihen dem Programm ihrer Partei Gesicht und Stimme. Erfolgreich sind Parteien dann, wenn der Kandidat zu den Themen der Partei passt“, so Prof. Dr. Brettschneider. Willy Brandt und Helmut Schmidt hatten jeweils große polarisierende Themen vor sich: die Ostpolitik, den Terrorismus und den Nato-Doppelbeschluss. Bei Helmut Kohl war es die Wiedervereinigung. „Mit diesen Themen sind auch die Personen gewachsen, mit den Themen haben sie ihr Profil geschärft“, meint Prof. Dr. Brettschneider rückblickend.

Solche grundsätzlichen und polarisierenden Themen würden aber immer seltener. Die Agenda 2010 und die Flüchtlingspolitik waren die vorerst letzten Themen dieser Art. Für die Jahrhundertaufgabe „Klimaschutz“ habe hingegen noch nicht die Verknüpfung mit einer oder einem Spitzenkandidierenden stattgefunden – auch wenn die Wählerinnen und Wähler dort den Grünen die größte Kompetenz zuschreiben.

Zudem weicht die Bundestagswahl 2021 in zwei zentralen Punkten von früheren Wahlen ab. „Normalerweise orientieren sich viele Wählerinnen und Wähler bei ihrer Stimmabgabe an ihrer langfristigen Parteibindung. Der Anteil dieser Stammwähler wird aber von Wahl zu Wahl kleiner. Hinzu kommt dieses Mal, dass zahlreiche Stammwähler der CDU/CSU erwägen, die SPD zu wählen – aus Unzufriedenheit mit dem eigenen Spitzenkandidaten Armin Laschet“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. „Ob sie das tatsächlich tun werden, sehen wir dann am Wahlabend.“

Und zweitens: „Die Wählerschaften der Parteien wurden auch in den letzten Jahren immer fragmentierter. Das heißt, für Parteien genügt es nicht, in erster Linie ihre Stammwählerschaft zu überzeugen, sondern sie müssen gleichzeitig auch noch viele parteipolitisch ungebundene und unentschiedene Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen. Auf diese Menschen hatten es die Grünen mit ihrer Kampagne abgesehen. Die Fehler von Annalena Baerbock haben von den dafür vorgesehenen Themen – vor allem vom Klimaschutz – abgelenkt“, so Prof. Dr. Brettschneider.

 

Der ideale Kanzler bzw. die ideale Kanzlerin ist kompetent und vertrauenswürdig

Der ideale Bundeskanzler, die ideale Bundeskanzlerin ist vor allem kompetent und vertrauenswürdig. Nahezu alle Befragten halten diese Eigenschaften für wichtig oder für sehr wichtig. Es folgen Entscheidungsfreude und Tatkraft. Im Vergleich dazu sind Bürgernähe und menschliche Sympathie etwas weniger wichtig – aber immer noch bedeutend. Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren Idealvorstellungen kaum voneinander. Das Gleiche gilt für die verschiedenen Altersgruppen.

„Das deckt sich mit den Wahlanalysen für die letzten 50 Jahre. Die wahrgenommene Themenkompetenz und die wahrgenommene Integrität sind am wichtigsten. Am unwichtigsten sind die unpolitischen Merkmale. Über sie reden die Menschen zwar gerne am Grillabend, am Stammtisch oder im Gespräch mit Nachbarn – in der Wahlkabine spielen sie aber keine Rolle“, sagt Prof. Dr. Brettschneider.

 

Spitzenkandidierende entsprechen nicht den Idealvorstellungen

„Die Kanzlerkandidaten und die Kanzlerkandidatin entsprechen nicht den Idealbildern. Betrachtet man die einzelnen positiven Eigenschaften, so schreiben bei keiner Dimension mehr als 38 Prozent der Wählerinnen und Wähler einem der drei Spitzenkandidierenden eine positive Eigenschaft zu“, so Prof. Dr. Brettschneider. Olaf Scholz erreicht auf der Dimension „menschliche Sympathie“ diesen Wert.

Im Vergleich zu ersten Befragungswelle, die Ende Juli/Anfang August stattfand, konnten sich Olaf Scholz und Annalena Baerbock etwas verbessern: Der Anteil derer, die ihnen keine positive Eigenschaft zuschreiben, ist bei Scholz von 39 auf 28 Prozent gesunken, bei Baerbock von 51 auf 44 Prozent. Bei Armin Laschet ist der Anteil derer, die ihm keine positive Eigenschaft zuschreiben, leicht von 55 auf 58 Prozent gestiegen. Zudem liegt Armin Laschet bei keiner einzigen Eigenschafts-Dimension vor seinen beiden Kontrahenten. Dafür führt Olaf Scholz bei allen Eigenschafts-Dimensionen – mit einer Ausnahme: Bei der Eigenschafts-Dimension „Tatkraft“ liegt Annalena Baerbock geringfügig vor ihm.

Was aber noch gravierender ist, sind die Bewertungen von Armin Laschet in der eigenen Anhängerschaft der CDU/CSU. Sie bewertet ihren Spitzenkandidaten zwar bei der Frage nach einem guten Zukunftskonzept sowie bei der Einschätzung der Bürgernähe besser als Olaf Scholz. Aber auf den Eigenschafts-Dimensionen „Sympathie“ und „Vertrauenswürdigkeit“ bewerten die CDU/CSU-Anhänger Scholz besser als Laschet.

Und: Die Anhängerschaft von CDU/CSU bewertet auf keiner einzigen Eigenschaftsdimension Armin Laschet so gut, wie die SPD-Anhängerschaft Olaf Scholz sowie die Grünen-Anhängerschaft Annalena Baerbock bewertet. „Das deutet auf ein erhebliches Mobilisierungsproblem innerhalb der CDU/CSU-Anhängerschaft hin“, gibt Prof. Dr. Brettschneider zu bedenken.

 

Gesamtbewertungen der Spitzenkandidierenden: Laschet verschlechtert, Scholz verbessert

Blickt man auf die Gesamtbewertung der Spitzenkandidierenden und bezieht auch die Kandidierenden der FDP, der Linken und der AfD ein, so wird lediglich Olaf Scholz häufiger positiv als negativ bewertet (43 % vs. 22 %). Bei allen anderen Kandidierenden überwiegen die negativen Bewertungen – teilweise deutlich. Am negativsten bewerten die Befragten die AfD-Kandidatin Alice Weidel (71 % negative Bewertungen).

Bei Annalena Baerbock, Christian Lindner, Janine Wissler und Alice Weidel sind die Bewertungen über die letzten beiden Monate hinweg sehr stabil. Die Bewertung von Armin Laschet hat sich hingegen verschlechtert: Der Anteil negativer Bewertungen stieg von 50 auf 60 Prozent; der Anteil positiver Bewertungen sank von 15 auf 11 Prozent. Die Bewertung von Olaf Scholz hat sich deutlich verbessert: Der Anteil positiver Bewertungen stieg von 31 auf 43 Prozent; der Anteil negativer Bewertungen sank von 28 auf 22 Prozent.

Jüngere Befragte bewerten Annalena Baerbock am positivsten (39 %), Ältere bewerten Olaf Scholz am positivsten (53 %). Armin Laschet wird in allen Altersgruppen von maximal 15 Prozent positiv bewertet.

„Armin Laschet ist der einzige Kandidat, der in seiner eigenen Anhängerschaft noch nicht einmal von einer relativen Mehrheit besser bewertet wird als alle anderen Kandidierenden“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. 30 Prozent der CDU/CSU-Anhängerschaft bewerten Laschet positiv oder sehr positiv. Aber 36 Prozent der CDU/CSU-Anhängerschaft bewerten Scholz positiv oder sehr positiv. In allen anderen Anhängerschaften erhält der „eigene“ Kandidat bzw. die „eigene“ Kandidatin die mit Abstand meisten positiven Bewertungen: Beispielsweise bewerten 84 Prozent der SPD-Anhängerschaft Olaf Scholz positiv oder sehr positiv.

Auch weiterhin gelte daher: „Wenn die CDU/CSU gewinnen sollte, dann nicht wegen Armin Laschet, sondern trotz Armin Laschet“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. Und das Gleiche gelte für die Grünen: „Wenn die Grünen gut abschneiden sollten, dann nicht wegen Annalena Baerbock, sondern trotz Annalena Baerbock“, so Prof. Dr. Brettschneider weiter. Das zeige der Vergleich der Personen- mit der Parteibewertung.

 

Die Gesamtbewertungen der Parteien: SPD verbessert, CDU leicht verschlechtert

„Vergleicht man Partei- und Personen-Bewertung, so fällt auf: Armin Laschet und Annalena Baerbock werden schlechter bewertet als ihre jeweilige Partei. Und Olaf Scholz wird besser bewertet als die SPD“, stellt Prof. Dr. Brettschneider fest. „Im Vergleich zu unserer ersten Befragung Ende Juli/Anfang August hat sich die Bewertung der CDU etwas verschlechtert. Die Bewertung der SPD hat sich verbessert. Die Bewertung aller anderen Parteien hat sich kaum verändert.“

Nur die Arbeit einer Partei wird zwei Wochen vor der Wahl häufiger positiv als negativ bewertet: die Arbeit der SPD. Ende Juli/Anfang August sah dies noch anders aus: Damals wurde die Arbeit keiner Partei überwiegend positiv bewertet. Bei der CDU hielten sich jeweils 29 Prozent positive bzw. negative Bewertungen die Waage. Bei allen anderen Parteien gab es mehr negative als positive Bewertungen. Mit Abstand am schlechtesten wurde die Arbeit der AfD bewertet.

Es gibt teilweise deutliche Bewertungs-Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Männer bewerten die Arbeit der AfD positiver als Frauen es tun. Das trifft auch auf die FDP zu. Und Frauen bewerten die Arbeit der Grünen positiver als Männer es tun.

Die Anhängerschaft der Grünen ist mit der Arbeit „ihrer“ Partei am zufriedensten (88 %). In der SPD-Anhängerschaft sind 77 Prozent mit der Arbeit „ihrer“ Partei zufrieden (Ende Juli/Anfang August waren es nur 61 Prozent). Der geringste Unterstützungs-Anteil in der eigenen Anhängerschaft findet sich bei der CDU: Nur 59 Prozent der CDU/CSU-Anhängerschaft bewerten die Arbeit der CDU positiv (die CSU schneidet in dieser Gruppe mit 64 % positiven Bewertungen besser ab).

 

Bislang im Rahmen der wissenschaftlichen Wahlkampf-Begleitung erschienen

 

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie
T 0711 459 24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de


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