Verständliche Politikersprache sieht anders aus: Landtagswahl in NRW 2010 und PolitMonitor  [03.05.10]

Politik gilt als bürgerfern, unverständlich und intransparent. Damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahlentscheidung treffen können, sollten Parteien ihre Positionen klar und verständlich darstellen. Die Wahlprogramme sind dabei ein Mittel, um die eigenen Positionen darzulegen. Parteien gehen mit dieser Chance jedoch fahrlässig um, meint Prof. Dr. Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim. Mit dem PolitMonitor informiert die Universität Hohenheim ab sofort kontinuierlich über Parteien-Verständlichkeit.

In einem Forschungsprojekt haben Wissenschaftler der Universität Hohenheim und des Instituts CommunicationLab die formale Verständlichkeit der Wahlprogramme der CDU, der SPD, der FDP, der Grünen und der Links-Partei für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen untersucht. Sie suchten u.a. nach Satz-Ungetümen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und Schachtelsätzen. Anhand dieser Merkmale bildeten sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er reicht von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich).

Das Ergebnis ist enttäuschend
Bei den Langfassungen der Wahlprogramme schneidet das Programm der CDU noch am besten ab (Indexwert: 11,8). Am unverständlichsten ist das Programm der FDP. Mit einem Wert von 5,8 liegt es nur knapp über der durchschnittlichen Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten (4,3). „Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen“, sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider. „Ohne ein hohes Bildungsniveau oder politisches Fachwissen sind die Inhalte der Landtagswahlprogramme für die Wählerinnen und Wähler nur schwer verständlich“. Allerdings: Bis auf die CDU bieten sämtliche Parteien neben der Langfassung auch eine Kurzfassung ihres Programms ab. Diese Kurzfassungen sind verständlicher formuliert. Die SPD erreicht einen Wert von 17,2, die Grünen kommen auf 12,7, die FDP auf 12,4 und die Links-Partei auf 7,8. Dass die CDU auf eine Kurzfassung verzichtet, liegt vor allem daran, dass sie mit 28 Seiten (8.626 Wörter) ohnehin die kürzeste Langfassung zu Papier gebracht hat. Die Langfassung des Wahlprogramms der Grünen erstreckt sich hingegen auf 228 Seiten (59.677 Wörter).

Fachsprache und Fremdwörter zuhauf
Bei sämtlichen Parteien finden sich Verstöße gegen grundlegende Verständlichkeitsregeln. So erschweren Fremdwörter und Fachbegriffe das Textverständnis, wenn sie nicht erläutert werden. In den Programmen aller Parteien finden sich sprachliche Kuriositäten: Die „kooperativen Versorgungsstrukturen“ (CDU), das „doppische Haushaltswesen“ (FDP), das „Konnexitätsprinzip“ (SPD, Grüne), die „Sequestrierung“ (Grüne) und die „korruptiven Sachverhalte“ (Linke) sind Beispiele für Begriffe, die meist nur von Insidern verstanden werden. Und auch Begriffe wie „Bundesschienenwegeausbauplan“ (FDP) gehen einem nicht eben flott von der Zunge. Prof. Dr. Frank Brettschneider: „Für viele Bürgerinnen und Bürger bleibt dieser Jargon unverständlich. Er ist meist das Ergebnis von innerparteilichen Expertenrunden. Sie verwenden ihre von Bürokratismen durchzogene Fachsprache. An den Bedürfnissen der Leserinnen und Leser, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen, schreiben sie vorbei.“

Auch die Verwendung von Anglizismen erschwert das Verständnis – zumindest für einige Wählergruppen. „Equal pay“ (SPD) und „Repowering“ (SPD), „Shared Services“ (FDP), „Open Access-Modelle“ (CDU) und „CrossBorder-Leasing“ (Linke) sind nur zur verstehen, wenn man den Bürgern „Coachingangebote“ (Grüne) unterbreitet.

Bandwurmsätze und Unklarheiten
Zu lange Sätze erschweren das Verständnis – vor allem für Wenig-Leser. Aber bei allen Parteien finden sich überlange Sätze mit bis zu 69 Wörtern. Die FDP ist der Meister der Bandwurmsätze. Im Durchschnitt besteht hier ein Satz aus 17,7 Wörtern. Die kürzesten Sätze finden sich bei der SPD (im Schnitt 14,1 Wörter). Und nicht immer wird sofort klar, was die Parteien fordern: „Um ein umfassendes Angebot an Ganztags- und Halbtagsschulen zu gewährleisten, wird der Ganztag flexibilisiert.“ (FDP). Oder: „Ziel der öffentlichen Beschaffung soll es sein, Benchmarks zu setzen, an denen sich Unternehmen und Haushalte orientieren können.“ (Grüne).

Der Politmonitor der Uni Hohenheim: dauerhafte Analyse der Politiker-Verständlichkeit
Ab sofort ermitteln die Hohenheimer Forscher die Verständlichkeit der Parteien fortlaufend. Im „Hohenheimer PolitMonitor“ nehmen sie die Kommunikation der Parteien unter die Lupe. Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, inbes. Kommunikationstheorie, erfasst hierfür monatlich, wie verständlich die Parteien mit Webseiten-Besuchern (Homepage-News) und Journalisten (Pressemitteilungen) kommunizieren, welche Themen sie dabei ansprechen und welches Vokabular sie verwenden. Auf diese Weise ist es erstmals möglich, Inhalte und Verständlichkeit der Parteien-Kommunikation aktuell und gleichzeitig langfristig zu untersuchen und zu vergleichen: www.polit-monitor.de.


Hintergrund: Automatische Textanalyse

Möglich werden diese Analysen durch die vom CommunicationLab Ulm und von der Universität Hohenheim entwickelte Verständlichkeitssoftware TextLab. Diese Software berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter). Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ zusammen, der die Verständlichkeit der Programme und Texte auf einer Skala von 0 (unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) abbildet.


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