Landtagswahl in Niedersachsen: "Der unverständlichste Landtagswahlkampf, den wir je untersucht haben"  [15.01.13]

Fremdwörter, Anglizismen und überlange Sätze: Kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen haben Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim die Wahlprogramme der sechs größten Parteien auf ihre formale Verständlichkeit hin überprüft. Ihr Ergebnis ist ernüchternd.

Verständlichkeit der Wahlprogramme (Langfassungen)

„Es war der unverständlichste Landtagswahlkampf, den wir je untersucht haben“, fasst Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim zusammen. „Nur die Programme zur Europawahl 2009 waren noch unverständlicher. Da muss man sich nicht wundern, wenn Politik als bürgerfern, unverständlich und intransparent gilt. Damit die Wähler eine begründete Entscheidung treffen können, sollten Parteien ihre Positionen zur Landespolitik klar und verständlich darstellen. Aber gemessen am Hohenheimer Verständlichkeitsindex, der von 0 (formal sehr unverständlich) bis 20 (formal sehr verständlich) reicht, gelingt dies keiner Partei. Kein einziges Wahlprogramm erreicht einen Wert von über zehn Punkten.“ Teilweise seien die Wahlprogramme ähnlich kompliziert formuliert wie politikwissenschaftliche Doktorarbeiten, die sich an ein Experten-Publikum wenden.

Und: Noch nie lagen die Wahlprogramme in ihrer formalen Verständlichkeit so dicht beieinander: Die Bandbreite reicht von 6,5 (Grüne) bis 7,7 (Linke). Das verständlichste und das unverständlichste Wahlprogramm trennen lediglich 1,2 Skalenpunkte. Einen Lichtblick gibt es aber: Die Kurzfassungen der Programme und die Flyer sind allesamt deutlich verständlicher als die Langfassungen. SPD und Grüne erreichen dort sogar den Höchstwert: 20 Punkte.

 

Grünes Kauderwelsch

Auf die Spitze treiben es zwischen Harz und Nordsee die Grünen. Ihr ausführliches Wahlprogramm ist mit 172 Seiten das längste und mit nur 6,5 Punkten auch gleichzeitig das unverständlichste. Fachbegriffe wie „Teilleistungsstörungen“ und „Pilot-Konditionierungsanlage“ tragen nicht eben zur Verständlichkeit bei. Hinzu kommen wenig gebräuchliche Anglizismen wie „Screenwork“, „Post Oil City“, „Transition Town“ und „Gender Pay Gap“.

Außerdem sparen die Grünen nicht mit überlangen Sätzen, weshalb sie mit 15,9 Wörtern pro Satz auch hier den höchsten Wert aller untersuchten Parteien erreichen. Hier ein besonders langes Beispiel (56 Wörter): „Im Bereich von Risikotechnologien – etwa bei der Endlager- oder Genforschung oder Forschung mit ausschließlich oder überwiegend militärischer Nutzbarkeit – soll als Kontrollinstanz ein Beirat eingerichtet werden, dem neben Studierenden und anderen Hochschulangehörigen zum Beispiel auch VertreterInnen aus Gewerkschaften, Wirtschaft, Umwelt- und Wohlfahrtsverbänden und Religionsgemeinschaften angehören sollen und der über die Annahme solcher Aufträge entscheidet und Drittmittel-Kooperationen freigibt.“

 

Linke haben einfachstes Wahlprogramm – aber sehr dogmatisch

Das kürzeste und einfachste Wahlprogramm liefert die niedersächsische Linkspartei. Es ist nur 72 Seiten lang und erreicht 7,7 Punkte auf der Hohenheimer Verständlichkeitsskala. „Gleichzeitig ist das Wahlprogramm auch das dogmatischste von allen“, sagt Claudia Thoms, die an der Studie mitgearbeitet hat. Wörter wie „immer“, „nie“, „ausschließlich“, „niemand“ oder „müssen“ fanden die Forscher bei den Linken vergleichsweise häufig. Auf einer Skala von 0 (sehr undogmatisch) bis 1 (sehr dogmatisch) erreicht die Partei dadurch einen Wert von 0,44 Punkten. Zum Vergleich: Die FDP erreicht lediglich 0,33 Punkte, die CDU sogar nur 0,28 Punkte.

Das Programm der Linkspartei ähnelt im Stil damit dem der Piratenpartei: Deren Wahlprogramm landet in puncto Verständlichkeit auf Platz zwei und weist einen ähnlich hohen Dogmatismusgrad auf (0,43 Punkte). Dahinter folgen SPD (0,40 Punkte) und Grüne (0,38 Punkte).

 

Tonalitäts-Analyse: FDP scheint mit eigener Energiepolitik unzufrieden

Das Thema Energiepolitik unterzogen die Hohenheimer Forscher zusätzlich einer Tonalitäts-Analyse. Hierbei wird untersucht, ob die Parteien eher positive oder eher negative Aussagen treffen. Das Ergebnis: „Die Wahlprogramme von CDU und SPD klingen beide recht positiv“, fasst Dr. Anikar Haseloff vom Ulmer CommunicationLab zusammen, der an der Studie mitgearbeitet hat. Beide Parteien erreichen auf der Tonalitätsskala von -100 bis +100 Werte zwischen 10 und 20 Punkten. Zumindest in Bezug auf die CDU als Regierungspartei sei dies auch nicht anders zu erwarten gewesen, erläutert Dr. Haseloff.

Pikant ist aber: Die Liberalen klingen ausgerechnet beim Wahlkampf-Thema Energiepolitik leicht negativ (-3,8 Punkte). Dr. Haseloff: „Das verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, dass der FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner amtierender Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz ist“.

Dass die beiden Oppositionsparteien Grüne und Linke mit der Energiepolitik der Regierung unzufrieden sind, ist dagegen wenig verwunderlich. Immerhin geht es bei dem Thema auch um das umstrittene Atommüll-Lager Gorleben. Die entsprechenden Passagen in den Wahlprogrammen der beiden Parteien haben eine sehr negative Tonalität und erreichen -20,5 (Linke) bzw. -21,6 Punkte (Grüne).

 

Themen-Analyse: Bildungs- und Energiepolitik im Vordergrund

Zu den wichtigsten Themen der Wahlprogramme gehören die Bildungs-, die Energie- und die Wirtschaftspolitik. Mindestens zwei von ihnen gehören bei jeder Partei zu den Top5-Themen. Vor allem die Bildung scheint den Parteien in Niedersachsen am Herzen zu liegen: Bei vier von sechs Parteien liegt das Thema auf Platz 1. Bei der SPD und bei der Piratenpartei ist die Energiepolitik das Top-Thema.

 

Hintergrund: Der Hohenheimer Wahlprogramm-Check

Die Wahlprogramme sind ein Kommunikationsmittel der Parteien, um die eigenen Positionen darzulegen. Seit 2009 untersucht das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft (insbes. Kommunikationstheorie) an der Universität Hohenheim im „Wahlprogramm-Check“ in Kooperation mit der Ulmer Agentur für Verständlichkeitsmessung CommunicationLab u.a. folgende Fragen: Kommunizieren die Parteien in ihren Wahlprogrammen so verständlich, dass alle Wahlberechtigten sie verstehen können? Weisen die Programme eher eine positive oder negative Tonalität auf? Wie dogmatisch formulieren die Parteien? Und welche Themen und Begriffe dominieren in den Programmen?

Für die Messung der Programm-Verständlichkeit entwickelten die Forscher den sogenannten Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Dieser gibt die Verständlichkeit auf einer Skala von 0 Punkten (sehr unverständlich) bis 20 Punkten (sehr verständlich) an. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Politik-Beiträge in der Bild-Zeitung kommen im Schnitt auf 16,8 Punkte.

Text: Weik / Klebs

Kontakt für Medien:

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft insb. Kommunikationstheorie, Tel.: 0711/459 24030, E-Mail: <font color="#0000ff">frank.brettschneider@uni-hohenheim.de</font>


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