TV-Duell: Steinbrück bei Testzuschauern Punktsieger vor Merkel [02.09.13]
Der Herausforderer konnte vom TV-Duell stärker profitieren als die Kanzlerin, so das Ergebnis von Live-Bewertung und Blitz-Analyse an der Universität Hohenheim„Echter Wechsel“ gegen „die Nummer eins bleiben“ – diesen von Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim erwarteten Schlagabtausch lieferten sich der SPD-Herausforderer Peer Steinbrück und Bundeskanzlerin Angela Merkel im gestrigen TV-Duell. 220 Testzuschauer in Hohenheim und Ravensburg bewerteten die Aussagen der Kontrahenten an Drehreglern in Echtzeit. Dabei punktete Steinbrück nicht nur bei klassischen SPD-Themen, sondern auch bei PKW-Maut und NSA-Affäre.
Drehregler nach links: pro Steinbrück, nach rechts: pro Merkel. 140 Testzuschauer im Hörsaal 11 der Universität Hohenheim und 80 weitere an der Dualen Hochschule Ravensburg schauten sich das TV-Duell unter wissenschaftlicher Begleitung an. Dabei bewerteten sie jede Aussage mit einem Drehen in die eine oder die andere Richtung. Die Zuschauer wurden in drei Gruppen unterteilt: SPD-/Grüne-Anhänger, CDU-/FDP-Anhänger und Unentschiedene. In jeder Gruppe wurde darauf geachtet, dass verschiedene Altersgruppen, Männer und Frauen sowie Personen mit unterschiedlich starkem politischen Interesse vertreten waren.
Vorteil Steinbrück bei Sozialer Gerechtigkeit
Die so entstandenen Bewertungen brachten es an den Tag: In der Gunst der Testzuschauer hatten beide Kontrahenten starke Phasen. Aber Peer Steinbrück konnte die SPD-Anhänger unter den Testzuschauern besser mobilisieren als Angela Merkel die CDU-Anhänger. Vor allem gelang ihm das bei klassischen SPD-Themen aus dem Bereich „Soziale Gerechtigkeit“. Die stärkste Zustimmung erfuhr er für seine Kritik an der Pflegeversicherung der Bundesregierung (Nummer 6 in der Grafik) sowie für sein Eintreten für „gute Arbeit“, die Kritik am Missbrauch von Leiharbeit sowie die Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn (Nummern 3 und 4). In diesen Passagen stimmten ihm auch die Unentschiedenen sowie zahlreiche Anhänger der CDU zu. „Hier verstand es Steinbrück die klassischen SPD-Themen zu besetzen und auch die Zustimmung der unentschlossenen Wähler zu bekommen“, erläuterte Prof. Dr. Frank Brettschneider vom Fachgebiet Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim. In repräsentativen Meinungsumfragen seien das derzeit die für die Wählerinnen und Wähler wichtigsten Themen. Weitere Punkte konnte Steinbrück mit seiner Kritik am Verhalten der Banken machen (Nummer 2). Auch bei der NSA-Affäre (Nummer 7) und beim Thema Syrien (Nummer 8) erfuhr er in allen Lagern Zustimmung.
Links: pro Steinbrück, rechts: pro Merkel. Foto: Universität Hohenheim
Angela Merkel kam hingegen etwas langsamer in das TV-Duell. Sie erzielte Zustimmung in allen Lagern mit ihren Aussagen zu „notwendigen Reformen“ in Griechenland (Nummer 1) und mit der Forderung „Leistung muss sich lohnen“ (Nummer 5). Besonders positiv wurde ihre Aussage „Es geht immer als Erstes um das Land, dann um die Partei und dann um die Person“ (Nummer 9) bewertet. Damit knüpfte sie an ihren präsidialen Wahlkampfstil an, in dem sie sich als Sachwalterin deutscher Interessen – u.a. in der Euro-Krise – darstellt. „Allerdings: Angela Merkel war erstaunlich häufig in der Defensive“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. „Vor allem zwischen der 50. und der 80. Minute konnte sie auch die eigenen Anhänger nicht stark mobilisieren“. In dieser Zeit ging es u.a. um die Stromsteuer, die Pflegeversicherung, die NSA-Affäre und Syrien.
Das TV-Duell ist wichtig, aber nicht zwingend wahlentscheidend
Brettschneiders Fazit: „Da sich für die Bundestagswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Lager abzeichnet war kein Schnarchduell wie 2009 zu erwarten. Die Reaktionen der Testzuschauer waren tatsächlich sehr viel intensiver als 2009.“ Dass er Steinbrück im TV-Duell mit Vorteilen sieht, begründet Brettschneider wie folgt: „Bei einem TV-Duell kommt es insgesamt darauf an nicht bei möglichst vielen Themen zu punkten, sondern bei den entscheidenden. Und das sind die Themen, die von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler als besonders wichtig eingestuft werden. Und das ist derzeit das Thema Soziale Gerechtigkeit. Dort konnte Steinbrück das eigene Lager besser mobilisieren und die Unentschiedenen eher überzeugen“. Und weiter: „Dieser Vorteil übersetzt sich aber nicht automatisch in eine Stimmabgabe zugunsten der SPD in drei Wochen. Bis zum Wahltag kann noch viel passieren. Vor allem kommen jetzt ja auch die FDP, die Grünen, die Links-Partei und die Piraten zu Wort. Der Kanzler oder die Kanzlerin werden ja nicht direkt gewählt, sondern gewählt werden die Parteien“.
Befragung zu den politischen Ansichten der Teilnehmer. Foto: Universität Hohenheim
Fundierte Untersuchung mit schnellen Ergebnissen
Kerninstrumente bei der Auswertung des Debattenverlaufs sind Drehregler, die ihre Werte drahtlos und in Echtzeit an einen Zentralrechner übermitteln (sog. Real-Time-Response-Measurement). Die Testzuschauer bewerteten durch Drehen in die eine oder andere Richtung dabei live die beiden Debattanten.
„Der Duell-Erfolg hängt davon ab, wie die beiden Spitzenkandidaten ihre eigenen Anhänger mobilisieren können, aber gleichzeitig die Mobilisierung der Gegner verhindern“, erklärt Prof. Dr. Brettschneider die Hintergründe der Untersuchung. „Gleichzeitig müssen sie versuchen die unentschiedenen Wähler zu überzeugen. Die Politiker reden nicht miteinander, sondern für die Zuschauer.“
Der Zentralrechner erstellt eine Kurve des Debattenverlaufs. Dabei zeigen sich die herausragenden Momente der Debatte (größte Zustimmung oder Ablehnung sowie Polarisierung der Lager). Außerdem untersuchen die Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler ob das TV-Duell auch die Wahlabsicht ändert. Dies erfolgt mit einer Nachbefragung, deren Auswertung noch aussteht. Auch werden die Testzuschauer unmittelbar vor der Wahl nochmals befragt. So wollen die Forscher herausfinden, ob und wie lange die TV-Duell-Bewertung anhält. Gefördert wird die unabhängige Studie durch die Fritz Thyssen-Stiftung.
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft insb. Kommunikationstheorie Tel.: 0711 459-24030, E-Mail: frank.brettschneider@uni-hohenheim.